Konflikt in Palästina/Israel nach der erneuten Eskalation

PLEIS Al Walajah Tear gas container Patrone Tränengas

Am 21. Mai 2021 trat ein Waffenstillstand zwischen der israelischen Regierung und der Hamas im Gaza-Streifen in Kraft. Er folgt auf eine massive Eskalation im Konflikt um die besetzten palästinensischen Gebiete. Elf Tage dauert der gegenseitige Beschuss mit flächendeckenden Protesten und Gewalttaten, aber auch mit vielfältigen gewaltfreien Aktionen.

Schon in den Wochen vor der kriegerischen Auseinandersetzung wurden die anstehende Zwangsräumung palästinensischer Familien in Sheikh Jarrah, einem Viertel im besetzten Ost-Jerusalem, von der Weltöffentlichkeit beobachtet. Ebenso die Einschränkungen und Provokationen gegenüber palästinensischen Menschen in der Jerusalemer Altstadt, inklusive dem Tempelberg und der Al-Aqsa-Moschee.

Hinzu kommen weitere aktuelle politische Umstände, die den Konflikt vorantreiben.

  • Hier ist die seit zwei Jahren schwierige und instabile Regierungsbildung in Israel zu nennen.
  • Das Gerichtsverfahren gegen Premierminister Benjamin Netanjahu.
  • Desweiteren die Absage der Parlamentswahlen in den besetzten Gebieten durch Präsident Mahmud Abbas.

Weder die Zwangsräumungen in Ost-Jerusalem, noch die Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind dabei Einzelfälle. Vielmehr stellen sie den symptomatischen Tiefpunkt dessen dar, was unsere Partner*innen im gesamten besetzen Westjordanland und in Israel über den gewaltsamen Alltag der militärischen Besatzung seit Jahrzehnten berichten. In den vergangenen Wochen erlebte auch die gewaltfreie Bewegung in Palästina und Israel Extreme.

Al-Walajah, ein palästinensisches Dorf im Westjordanland unweit Jerusalem, ist von drei Seiten durch völkerrechtswidrige israelische Siedlungen und die Trennmauer eingekesselt. Es wurde an mehreren Tagen von israelischem Militär mit Zementblöcken für den Autoverkehr komplett gesperrt und u.a. Tränengas und Schallbomben eingesetzt. Siedler*innen drangen in das Dorf ein und schossen mit scharfer Munition. Lubna, Mitglied unserer Partnerorganisation RWEISAT for Wood Art, äußerte ihre Ratlosigkeit: „Ich verstehe nicht, warum sie jede Nacht kommen. Wir sind ein ruhiges Dorf!“

Auch unsere Partner*innen in Hebron und den südlichen Bergen Hebrons berichteten von einer zugespitzten Gewalttätigkeit und Angriffen durch Siedler*innen und das israelische Militär.

  • Nach dem Waffenstillstand brannten Siedler*innen das Büro unserer Partnerorganisation Youth of Sumud nieder und verprügelten den Menschenrechtsverteidiger Sami Hureini.
  • Vorher wurde u.a. Sami mit einem Gummigeschoss getroffen, andere Büros und Aufenthaltsorte unserer Partner*innen durchsucht oder vielfach mit Steinen beworfen.
  • Mitglieder der gewaltfreien Initiativen berichteten insgesamt von Einschüchterungen und Bedrohungen, die sie vom Dokumentieren der Menschenrechtssituation abhalten sollten.
  • Nicht nur in den besetzten Gebieten, sondern auch in Israel kam es bei Demonstrationen für die Beendigung der Gewalt zu gewaltsamen Einsätzen der Sicherheitskräfte, bei denen eine Kollegin unserer Partnerorganisation Zochrot in Tel Aviv verletzt wurde.
  • Und auch für den digitalen Raum fasste unsere Partnerorganisation 7amleh in den vergangenen Wochen vielfältige Rechtsverstöße zusammen.

So sah sich auch die gewaltfreie Bewegung in den vergangenen zwei Wochen mit einer flächendeckenden Eskalation der Gewalt insgesamt und speziell gegen sich konfrontiert. Gleichzeitig gab es sowohl zwischen jüdischen Israelis und Palästinenser*innen in Israel als auch den besetzten Gebieten Solidarisierungen und vielfältige gewaltfreie Aktionen für eine gerechte, friedliche Beendigung der militärischen Besatzung. Herauszuheben war hierbei die Initiative eines Generalstreiks am 18. Mai. Zu ihm hatten diverse palästinensische Organisationen sowohl in Israel als auch den besetzten Gebieten aufgerufen. Die Breite des Bündnisses deutet auf eine neue Qualität der Kooperation unter den gewaltfreien Initiativen hin.

Es bleibt offen, wie sich der Konflikt um die militärische Besatzung nach dem Waffenstillstand entwickelt. Entsprechend der Erfahrungen der vergangenen Jahre kehrt er wahrscheinlich zum vorherigen Status Quo zurück:

  • palästinensisches Land wird durch den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau schleichend defacto annektiert,
  • Menschenrechtsverstöße kommen regelmäßig vor,
  • Menschenrechtsverteidiger*innen in den gewaltfreien Bewegungen bleiben bedroht und
  • der Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft massiv eingeschränkt,
  • Proteste werden nicht ausschließlich gewaltfrei vorgetragen und
  • eine konstruktive Bearbeitung des Konflikts und die Beendigung der militärischen Besatzung scheinen illusorisch.

Hoffnung dagegen geben die Solidarisierungen zwischen gewaltfreien Bewegungen in Israel und Palästina und innerhalb der palästinensischen Bewegung.

Diese Bemühungen der Zivilgesellschaft müssen weiterhin gestärkt und geschützt werden.

Und die internationale Gemeinschaft muss endlich wieder ernsthaft in eine gerechte Bearbeitung des Konflikts und somit in Friedensperspektiven für die Menschen vor Ort investieren.

Mehr zu unserer Arbeit in Palästina und Israel im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes.