Sudan: Zivilbevölkerung muss geschützt werden

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Statement zur Lage im Sudan - Update Juli 2023

Hinter den Verhandlungsbühnen: Völkermord in Darfur

Aus verschiedenen Landesteilen im Sudan erreichen uns weiterhin Nachrichten über unsere Partnerorganisation Bana Group for Peace and Development. Inmitten des Kampfes zwischen dem sudanesischen Militär (SAF) und der Miliz RSF tun die Frauen der Bana Groupo for Peace and Development ihr Möglichstes, sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen, und die Grundversorgung in ihren Gemeinden sicherzustellen. Im Sudan sind mittlerweile mindestens 2,56 Millionen Personen vertrieben, davon 1,67 Mio. intern (Stand 21. Juni 2023, Quelle: International Organization for Migration (IOM)). Heimatort oder -land zu verlassen ist für die vulnerabelsten Menschen in der Bevölkerung meist aber nach wie vor nicht möglich.

Aus dem Bundesstaat West Darfur allerdings herrscht Funkstille. Die letzte Nachricht von dort erhielten wir Ende April – von einem verzweifelten Bana-Mitglied, die mit ihrem kleinen Sohn aus der Stadt El-Geneina floh, um ihr Leben zu retten. Seit Ende April wird die Stadt durch die RSF belagert, Bewohner*innen durch Brandschatzen, Vergewaltigung und Morde terrorisiert und nach und nach wird lebensnotwendige Infrastruktur dem Boden gleich gemacht. Die RSF-Unterstützer gehören vorwiegend selbstbezeichnet „arabischen“ Ethnien an, und verfolgen in West Darfur nun das Ziel, „afrikanische“ Bevölkerungsgruppen vertreiben. Während die internationale Gemeinschaft sich auf das Hofieren von Hemedti (RSF) und Burhan (SAF) in folgenlosen Verhandlungen konzentriert, findet in Darfur ein Völkermord statt.

Selbst Vertreter sudanesischer Regierungsinstitutionen sprechen nun von einer ethnischen Säuberungskampagne (https://www.aljazeera.com/features/2023/6/17/ethnic-cleansing-in-west-darfur), die in ihrer Grausamkeit über die Geschehnisse 2003 hinaus geht. 2003 markiert den Beginn des Darfur-Konflikts, welcher zum Tod von mindestens 300.000 Menschen führte - und im Nachhinein Haftbefehle seitens des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den damaligen Präsident Omar Al-Bashir und Mitstreiter auf Tatbestand des Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nach sich zog. Diese historische Konfliktlinie wird in der Berichterstattung durch eine Fokussierung auf Waffenstillstandsbemühungen zwischen SAF und RSF größtenteils übersehen.

Dies ist umso erstaunlicher, da in Nord-Darfur und Ost-Darfur bereits in den ersten Tagen des Krieges die beispiellosen Initiativen der lokalen Regierung und ziviler Gruppen eine Einigung erwirkten, die einen funktionierenden (!) Waffenstillstand zwischen RSF und SAF zur Folge hatte. Der Waffenstillstand hielt mehrere Wochen an. Ende Mai wurde dieser allerdings wieder gebrochen.

Insgesamt starben seit Ausbruch der Kämpfe mindestens 2.800 Zivilist*innen (vgl. Armed Conflict Location and Event Data Project zu Sudan), die Dunkelziffer dürfte jedoch weit höher liegen. Auch sind Todesfälle, die nicht direkt durch kämpfende Parteien verschuldet wurden, jedoch indirekt dem Konflikt geschuldet sind, darin nicht erfasst - so starben in der Stadt El-Geneina allein seit Kriegsbeginn im April dieses Jahres ca. 700 Personen aufgrund des Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung: Berichten zufolge sind mittlerweile alle Dialysepatient*innen in der Stadt mangels Dialyse verstorben. Abgeschnitten von Strom und Mobilfunknetzwerk, dringen nur spärlich Fotos, Videos und Nachrichten von dort an die Außenwelt, erahnen lässt sich das Ausmaß der Katastrophe auf Satellitenbildern, auf denen massive Zerstörungen und Brände zu erkennen sind. Angehörige der Masalit-Ethnie werden aufgrund ihrer Hautfarbe identifiziert, terrorisiert und ermordet, teils werden gezielt Journalist*innen, Anwält*innen und Aktivist*innen zum Opfer – in den Städten El-Geneina und Kutum sowie zahllosen Dörfern. Zuletzt wurde der Gouverneur von West Darfur – selbst Masalit - durch die RSF exekutiert, kurz nachdem er gegenüber internationalen Medien von Völkermord sprach. Es ist zu befürchten, dass sich die ethnische Dimension des Konflikts auch auf weitere Landesteile ausbreiten wird.

El-Geneina ist nicht die einzige Stadt, die aktuell durch die Miliz belagert wird. Auch Zalingei in Zentral-Darfur sowie El Obeid im Bundesstaat Nord-Kordofan sind unter Belagerung, und wie in El-Geneina zeichnet sich dort eine humanitäre Katastrophe ab. In diesem Konflikt ertragen insbesondere Frauen Erniedrigung, Vergewaltigung und unbeschreibliche Grausamkeiten. Die Berichte von Zeug*innen zeigen deutlich: Vergewaltigung wird systematisch als Kriegswaffe eingesetzt.

Das sudanesische Militär gefährdet ohne Zögern durch Luftangriffe auf Wohngegenden Zivilist*innen und verschanzt sich in West Darfur in Baracken, anstatt sie zu schützen. Und doch ist deutlich: Das rassistische Blutvergießen in West Darfur und Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden überwiegend durch die RSF begangen. Dennoch zögert die internationale Gemeinschaft, die verantwortliche Miliz klar beim Namen zu nennen.

Die dramatische Notlage der Zivilist*innen im Sudan erschüttert uns. Wir sorgen uns, insbesondere um unsere Partnerorganisation und um die Aktivist*innen in der sudanesischen Zivilgesellschaft. Sie setzen sich seit Jahren trotz Repressionen mutig für eine zivile demokratische Regierung und gegen Gewalt ein. Wir stellen uns solidarisch an ihre Seite, unterstützen sie nach Kräften und versuchen ihren Stimmen weiterhin Gehör zu verschaffen.

Ihre zentralen und dringendsten Forderungen bleiben:

  • ein sofortiger und umfassender Waffenstillstand zwischen den Kriegsparteien und die Einrichtung humanitärer Korridore innerhalb der Städte und aus den Städten heraus
  • ungehinderter Zugang für humanitäre und medizinische Organisationen aus dem In- und Ausland sowie medizinische Versorgung und Versorgung mit Lebensmitteln
  • die Beendigung jeglicher politischen Legitimierung und Unterstützung – militärisch, geheimdienstlich, finanziell oder anderweitig - der zwei Kriegsparteien im Sudan
  • Mediale und internationale Anerkennung der zivilen Berichte von Völkermord und Vergewaltigung als Kriegswaffe seitens der RSF in Darfur

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Statement zur Lage im Sudan - Ende April 2023

Voll Fassungslosigkeit und Entsetzen blicken wir auf die militärische Eskalation im Sudan. Wir sorgen uns um die Menschen im Sudan, insbesondere um unsere Partnerorganisationen und um die Aktivist*innen in der sudanesischen Zivilgesellschaft. Sie setzen sich seit Jahren trotz Repressionen mutig für eine zivile demokratische Regierung und gegen Gewalt ein. Wir stellen uns solidarisch an ihre Seite, unterstützen sie nach Kräften und versuchen ihren Stimmen Gehör zu verschaffen.

Ihre zentralen und dringendsten Forderungen sind:

  • ein sofortiger und umfassender Waffenstillstand zwischen den Kriegsparteien und die Einrichtung humanitärer Korridore innerhalb der Städte und aus den Städten heraus
  • ungehinderter Zugang für humanitäre und medizinische Organisationen aus dem In- und Ausland sowie medizinische Versorgung und Versorgung mit Lebensmitteln
  • die Beendigung jeglicher politischen Legitimierung und Unterstützung – militärisch, geheimdienstlich, finanziell oder anderweitig - der zwei Kriegsparteien im Sudan

Das Geschehen
Am Morgen des 15. April 2023 erreichten uns die Nachrichten unserer Partnerorganisation Bana Group for Peace and Development und unserer Koordinatorin Fetlework Seifu aus Khartoum. Sie berichteten, dass auf den Straßen in ihrem Stadtviertel gekämpft wird. Schnell war klar, dass diese Kämpfe sich in der gesamten Stadt abspielen. Seit Monaten war die Lage zwischen den zwei Generälen angespannt. Sie hatten im Herbst 2021 mit einem gemeinsamen Coup den Demokratisierungsprozess im Sudan vorerst gestoppt. Streitpunkt war die Integration der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) in die sudanesische Armee (SAF). Nun wird dieser Machtkampf mit offener Gewalt ausgetragen. SAF und RSF bekämpfen sich mit allen Mitteln, mit Panzern und Kampfjets, auch in der Hauptstadt inmitten von Wohnvierteln und ohne Rücksicht auf Zivilist*innen.

Sie sind seit einer Woche praktisch in ihren Häuser eingeschlossen: Sowohl unsere Sudan-Koordinatorin in Khartoum als auch die Mitarbeiter*innen unserer Partnerorganisation Bana mit ihren Familien sowie Millionen andere. Die Versorgung ist vielerorts knapp. Aus vielen Landesteilen gibt es ebenfalls Berichte über Kämpfe, Menschen auf der Flucht, Tote und Verletzte. Die Lage wird täglich desaströser und zum Zeitpunkt heute, am 7. Tag der Kämpfe, gibt es noch immer keine Aussicht auf ein Ende oder auch nur eine Pause. Eine zweite Friedensfachkraft der KURVE Wustrow befand sich zu dem Zeitpunkt bereits außer Landes und ist mittlerweile nach Deutschland zurückgekehrt.

Zusammenarbeit mit unseren Partnern im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes (ZFD)
Doch nicht nur die katastrophale Dimension von Kämpfen, Tod und Leid ist erschütternd, sondern auch, was darüber hinaus zerstört wird: die Hoffnungen und Perspektiven, die jahrelange Arbeit für Frieden und Demokratie, die Wünsche hunderttausender engagierter Menschen im Sudan für politischen Wandel und Partizipation. Denn die maßgeblich von Frauen getragene Revolution auf den Straßen führte 2019 zum Sturz der jahrzehntelangen Militärdiktatur Al-Baschirs.

Seitdem sind die Demonstrationen nie abgerissen. Aktivist*innen engagierten sich für die politische Beteiligung, für den Übergang zur Demokratie und für Frieden im Sudan. Frauen sind zivilgesellschaftlich gut organisiert, aber auf den politischen Entscheidungsebenen kaum präsent. Unsere Partnerorganisation Bana Network for Peace and Development, ein Netzwerk von Aktivistinnen aus unterschiedlichen Landesteilen, setzt sich insbesondere für die Beteiligung von Frauen und marginalisierten Menschen ein und hat intensiv auf einen partizipativen Prozess des politischen Wandels hingearbeitet. Trotz großer Herausforderungen gab es Fortschritte und hoffnungsvolle Entwicklungen.

Hintergrund
Die Akzeptanz des Coups im Oktober 2021, der den Übergangspräsidenten Hamdok absetzte und große Errungenschaften der Demokratiebewegung zerstörte, ließ das Vertrauen in den durch die UN-Mission UNITAMS sowie die regionale Vernetzung ostafrikanischer Staaten IGAD und die Afrikanische Union begleiteten Demokratieprozess schwinden.

An der Spitze des Staates standen nun zwei Männer, die selbst jahrzehntelang Kämpfe gegen Teile der eigenen Bevölkerung angeführt hatten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Völkermord begangen hatten. Dieser Krieg ist kein Bürgerkrieg, denn die große Mehrheit der Sudanes*innen unterstützt keine der beiden Parteien.

Sie machen sowohl das Regime von al-Bashir als auch SAF und RSF inklusive ihrer Unterstützer im Ausland für den jahrzehntelangen völkermörderischen Krieg in Darfur, Süd-Kordofan und Blue Nile und für das Abbrechen des Weges zur Demokratie im Jahr 2021 verantwortlich. Sie sehen sie verantwortlich für die Militarisierung der Städte und des Landes sowie die Ermordung friedlicher Demonstranten, einschließlich des Massakers von Khartum am 3. Juni 2019.

Sie sind auch überzeugt, dass in einem Land, in dem fast 80 % des Staatshaushalts in die Verteidigung fließen, die Korruption von SAF und RSF ein wichtiger Grund dafür sind, dass so viele Millionen Sudanes*innen in Armut leben. Die große Mehrheit der Sudanes*innen will vor allem eine Beendigung des Krieges und endlich zivile Kontrolle über den Staat. Die Demokratiebewegung warnte davor, den Männern an der Spitze von SAF und RSF zu trauen. Sie hatten Recht.

Die KURVE Wustrow drückt ihren Schmerz über diesen Gewaltausbruch aus, über den Verlust von Menschenleben, von Errungenschaften und Perspektiven.

  • Wir solidarisieren uns mit der sudanesischen Zivilgesellschaft, die weiterhin für Gewaltfreiheit einsteht und ihren Forderungen nach einem Ende der Kampfhandlungen, Auflösung der Paramilitärs sowie Reform des Militärs, Rechenschaft und einer zivilen demokratisch gewählten Regierung für den Sudan.
  • Wir solidarisieren uns mit den unschuldig Betroffenen dieser Gewalt, mit allen Menschen, die Furcht um ihr Leben und das ihrer Angehörigen erleiden müssen, die Menschen verloren haben und mit all jenen, deren Arbeit und Engagement gerade einen neuen schweren Rückschlag erleiden und deren Hoffnungen in Trümmern liegen.

Demos in mehreren Städten, organisiert von Sudanes*innen im Exil:


Spende für die Notfallunterstützung besonders gefährdeter Gruppen im Sudan!

Mehr zu unserer Zusammenarbeit mit den Frauen von Bana im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes